Du hast dich entschieden, zu filmen. Deine Nachbar*innen stehen auf der anderen Straßenseite vor ihrer Wohnungstür und streiten lautstark. Der Mann schubst die Frau gegen die Wand. Auf deinem Video erkennt man jedoch kaum etwas. Um das zuändern, musst du näher ran. Gehst du auf die anderen Straßenseite?*
Grundsätzlich gilt: Kommt es zu einer Strafanzeige, können Videos dabei helfen, den Tatvorwurf zu belegen. Sven Müller, Sprecher des Polizeipräsidiums München, sagt: „Handyaufnahmen können wertvolle Beweise sein, die auch in einem Strafverfahren als Beweismittel zugelassen sind.“
Trotzdem ist es nicht immer ratsam, sofort die Kamera zu zücken, wenn man das Gefühl hat, Zeug*in häuslicher Gewalt zu werden. „Kein Täter lässt sich gern filmen“, sagen Karin Meyer und Mareike Horvath, Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen in München. Gute Filmaufnahmen entstünden oft nur in der Nähe zum Täter (selbstverständlich können nicht nur Männer zu Hause gewalttätig sein). Dabei steige jedoch die Gefahr, selbst angegriffen zu werden.
„Kein Täter lässt sich gerne filmen.“
sagen Katrin Meyer und Mareike Horvath vom Sozialdienst katholischer Frauen München
Bemerkt der Täter, dass er gefilmt wird, könnte die Situation eskalieren. Müller von der Münchner Polizei rät, nur zu filmen, wenn man die Situation dadurch nicht verschärft und keine Gefahr für die eigene Sicherheit besteht.
Du hast den Streit mit deinem Handy gefilmt und wurdest dabei nicht bemerkt. Auf deinem Video ist eindeutig zu sehen, wie dein Nachbar seine Frau schubst. Wie gehst du jetzt mit dem Material um? Gibst du es der Polizei?*
Wie hilfreich die Handyaufnahmen sind, hängt davon ab, ob es überhaupt zu einer Anzeige kommt. „Strafanzeigen werden seltener erstattet, als viele annehmen“, sagt Asha Hedayati, Anwältin für Familienrecht in Berlin. Das Ermittlungsverfahren sei enorm belastend, immer wieder müssten die Betroffenen ihre Aussage wiederholen. „Diese permanente Auseinandersetzung mit der Gewalt ist sehr anstrengend“, sagt Hedayati.
Die Anwältin rät, immer in Absprache mit den betroffenen Personen zu handeln. „Wenn man Material hat, sollte man es nicht ohne Einverständnis der Frau an die Polizei weiterreichen“, sagt sie. Denn die Konsequenzen der Entscheidung für eine Strafanzeige trage der oder die Betroffene. Sven Müller dagegen empfiehlt, das vorhandene Material so schnell wie möglich an die Polizei zu übergeben. Das könne bei den Ermittlungen helfen.
„Rechtlich ist die Aufzeichnung dann erlaubt, wenn Sie das Material später der Betroffenen für die Rechtsdurchsetzung überlassen.“
sagt Prof. Karl-Nikolaus Peifer vom Institut für Medienrecht, Universität Köln
Eines sollte man mit den Aufnahmen auf keinen Fall tun: Sie ohne das Einverständnis der Betroffenen veröffentlichen, zum Beispiel auf Facebook. Eine Veröffentlichung verletzte das Persönlichkeitsrecht der gezeigten Personen, sagt Karl-Nikolaus Peifer, Professor am Institut für Medienrecht der Universität Köln. „Rechtlich ist die Aufzeichnung dann erlaubt, wenn Sie das Material später der Betroffenen für die Rechtsdurchsetzung überlassen.“
Was wäre passiert, wenn du dich anders entschieden hättest?
Hilfe bei häuslicher Gewalt
Hilfe bei häuslicher Gewalt
Notruf:
110
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“:
08000 116 016
Telefonseelsorge:
0800 111 0111 oder 0800 111 0222
Betroffenentelefon des Weißen Rings:
116 006
Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen:
030 611 03 00
Frauenhaus der Frauenhilfe München:
089 354 830
* Die Szenen sind fiktiv, basieren aber auf den Schilderungen unserer Expert*innen.